Ein Bergdorf zwischen Himmel und Erde
Ein schöner Tag zum Reisen, die Sonne strahlt mit 25 Grad, es ist trocken, ein paar Schäfchenwolken ziehen vorbei und ich bin guter Laune. Meine Fahrt begann früh am Morgen in Nitra, wo ich aufbrach um weitere Teile der Mittelslowakei und dessen Kulturlandschaft zu erkunden. Zuerst ging es ein gutes Stück in Richtung Osten, auf der B65 die später Teils Autobahn und Teils ähnlich einer Landstraße durch die Schluchten führt. Links und Rechts sieht man Hauptsächlich Berge und Bäume. Zwischendurch kreuzt das kleine Flüsschen „Hron“ den Weg und begleitet meine Reise mal links, mal rechts ein Weilchen als wolle es mir zeigen „Hier geht’s lang“.
Ab der relativ großen Stadt Zvolen ging’s nun nach Norden – bis Banska Bystrica (ca. 40 km) auf der Autobahn. Nun Endet das ausgebaute Teilstück der Autobahn auch schon wieder und mich führt die Strecke entlang der B59 weiter nördlich immer tiefer in die slowakische Natur- und Berglandschaft. Die Häuser werden weniger, ab und an kommt mal ein kleines verfallenes Häuschen, oder ein Ensemble aus ein paar noch bewohnten Höfen. Wer hier wohnt ist hartes Leben gewöhnt – so weit ab von der Zivilisation. Die Straße schlängelt sich hin und her, auf und ab. Sie windet sich wie eine alte Boa, die ihren Lebensgeist schon lange verbraucht hat und nur noch ihrer Intuition folgend irgendwo einen Weg sucht. Die Fahrt geht nicht richtig vorwärts, stören langsame Fahrzeuge doch den Fluß und es gibt keine Möglichkeit zu überholen.
Zwischen Himmel und Erde
Endlich, ich sehe wieder Häuser, ein Dörfchen, Menschen. Was für eine Freude, im Dorf „Biely Potok“ ein Wegweiser, ich muss nach Links. Zuerst ein kleines Stück durch die Ortschaft, am Ende wieder ein Schild – ah – ich bin richtig. Die Fahrt führt mehrere Kilometer auf einer Fahrbahn, die ich als zu klein für zwei nebeneinander fahrende Autos beurteile. Wie recht ich hatte, ständig musst du dir einen Weg ins Gebüsch suchen oder ein Stück rückwärts fahren bis eine Einbuchtung kommt. Man einigt sich per Kopfnicken oder Handzeichen wer fährt und wer Platz macht. Ein höfliches Dankeschön in Form eines Handzeichens lässt aber bei mir und den entgegenkommenden Fahrzeugen keinen Ärger aufkommen.
Endlich eine Lichtung, ein Parkplatz und immer noch kein Dorf in Sicht. Ich sehe nach oben, erkunde die Berge und sehe nur Wälder. Aha, dieses Hier ist also der erste Parkplatz von dem man weiter wandern kann. Ich entschließe mich jedoch Fortuna herauszufordern, weiter zu fahren und zu sehen wo mich der Weg hinführt. Romantische Quellen, kleine Bächlein kommen irgendwo aus den steil hinaufragenden Hängen, die Straße ist kurvenreich und wird immer steiler. Ab und an begegnen mir Wanderer, die wohl ihr Fahrzeug am ersten Parkplatz abgestellt hatten oder vollbesetzte Autos mit slowakischen, polnischen, tschechischen oder ungarischen Kennzeichen.
Wieder ein Parkplatz, eigentlich nicht direkt, denn die Leute parken entlang des Weges der eigentlich viel zu klein ist um sein Auto hier her zu stellen. Das selbe Spiel beginnt: „ Du fährst ich weiche aus“, Wanderer stellen sich an die Seite um kein noch größeres Chaos zu verursachen. Geschafft, ich stehe oben, am Eingang des Dorfes. Ich steige aus, sehe mich um und stelle mit Freude fest: „Ich befinde mich irgendwo zwischen Himmel und Erde“.
Leben im Museum
Wie ihr auf den Fotos sehen könnt war es ein traumhafter Tag. Ich sah mich um und es gab hier weit und breit nichts außer diesem Dörfchen. Weit ab von jeder Zivilisation, weit ab von dem hektischen Treiben unserer Zeit. Kein Flugzeug, keine Autobahn, keine rauchenden Schornsteine stört den Frieden hier Oben. Ich befinde mich nun auf 718 Meter über dem Meeresspiegel und ringsum schweift mein Blick auf 1.300/1.400 Meter hohe Giganten. Nachdem ich meine Tasche gepackt hatte führte der erste Gang ans Kassenhäuschen. Eine ältere Dame verwaltet den Eintritt, sie spricht kein Deutsch, kein Englisch und es macht nichts. Der Eintritt kostet 40 Kronen (ca. 1,3 Euro). Fotogenehmigung kostet noch einmal 20 Kronen extra, womit wir bei einem Eintritt von 2.- Euro währen.
Begrüßt werden die Besucher von Holzskulpturen, die sich Außerhalb des Dorfes befinden und von slowakischen Künstlern erschaffen wurden. Auf den ersten Metern merkt man schon, hier herrscht noch Leben. Dieses Dorf, deren erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahre 1376 stammt ist bewohnt. In den knapp 50 Häusern leben heute noch 35 Bewohner friedlich im Einklang mit der Natur. Viele von ihnen sind schon an die achtzig Jahre alt und hatten 1944 die teilweise Zerstörung dieses Dorfes als Vergeltungsmaßnahmen der deutschen Wehrmacht Mitansehen müssen. Damals brannten hier 20 der 82 Holzhäuser vollständig ab und wurden nicht wieder aufgebaut. Über Jahrhunderte fast gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten, und bis vor wenigen Jahren noch ohne Strom und Wassernetz konnte sich hier eine der ursprünglichsten Gegenden in Mitteleuropa erhalten, sowie ihre Kultur und Architektur in die heutige Zeit retten.
Vlkolínec, das Wolfsdorf
Im 15. und 16 Jahrhundert existierten hier gerade mal vier Anwesen. Überlieferungen sprechen 1624 von vier Bauernanwesen und fünf Tagelöhnerhaushalten. Die höchste Einwohnerzahl wurde im Jahre 1870 gemeldet, zu dieser Zeit lebten in Vlkolínec 345 Bauern in rund 80 Holzhäusern.
Frei übersetzt heißt das kleine Dörfchen „Wolfsdorf“ (vlk = Wolf). Neben Bauern, Viehzüchtern und Holzfällern hausten hier früher auch Jäger, Wolfsjäger die diesem Ort schließlich ihren Namen gaben. Die Bewohner hatten in früherer Zeit die Pflicht, im und um das Dorf Wolfsfallen aufzustellen und diese auch zu pflegen um gegen nächtliche Angriffe dieser Wildtiere gewappnet zu sein. Die Alten in diesem Dorf, so wird erzählt, hören nachts die Wölfe heulen. Tatsächlich ist das keine Übertreibung, als eine der wenigen und selten gewordenen Gegenden in Europa hausen hier wirklich bis heute noch Wölfe und Bären in den umliegenden Berg- und Waldgebieten.
Die Einzigartigkeit des Dorfes
Ein Großteil, was dieses Dorf so einzigartig macht in Europa, ist der charakteristische Blockhausstil der Gebäude. Die Häuser sind meist aus drei Räumen, sind mit Lehm überzogen und gekalkten Blockbalken, als Fundament diente ein Bruchsteinsockel. Warum diese Ursprünglichkeit bis in die heutige Zeit so gut erhalten blieb wird einem erst beim Besuch dieser Gegend klar. Wer sollte sich hier auch freiwillig her verirren? Die Häuser sind bunt bemalt, fast nichts erinnert an das Jahr 2008. In der Ortsmitte befindet sich ein zweistöckiger Glockenturm aus dem Jahre 1770. Dieser Glockenturm aus Holz ruht auf einem Steinsockel. Daneben befindet sich ein Brunnen aus dem Jahre 1860. Das Dorf beherbergt seit ein paar Jahren auch ein kleines Museum (Haus Nr. 17aus dem Jahre 1886), in dem sich der Besucher ein typisches Bild von der Lebensweise der Bewohner gegen Ende des 19. Jahrhunderts machen kann. Der Eintritt in das Museum kostet 10 Kronen (ca. 30 Cent).
Am östlichen Dorfrand befindet sich der Friedhof mit einer klassizistischen Kirche „Mariä-Verkündigung“ aus dem Jahre 1875. Diese Kirche ist eines der wenigen Gebäude in Vlkolínec, dass komplett aus Stein gebaut ist. Dieses Gebäude kann nur von Außen besichtigt werden.
1977 wurde Vlkolínec von der damaligen tschechoslowakischen Regierung als Schutzdenkmal der Volksarchitektur erklärt und unter Denkmalschutz gestellt. Im Jahre 1991 schlug man dann dieses Dorf als Schützenswertes Objekt der Unseco vor, die dieses dann 1993 in ihre Liste der Weltkulturerbe aufnahm und ihm den Titel: „Weltkulturerbe der UNESCO“.
Und so kommt ihr hin
Es gibt zwei Wege nach Vlkolínec
Der erste Weg führt von der Autobahn Bratislava aus, über Trnava, Trencin nach Zilina. Von dort aus fahrt ihr östlich in Richtung Martin und Ružomberok, da nehmt ihr die Hauptstraße 59 nach Süden bis zum kleinen Ort Biely Potok. Von hier aus weisen Schilder den Weg.
Der zweite und für mich viel romantischere und schönere Weg dauert vielleicht etwas länger, aber hier gibt es einfach mehr fürs Auge. Bratislava, Autobahn nach Trnava, hier Autobahnwechsel nach Nitra, dann Richtung Zlate Moravce, Zvolen, Banska Bystrica und hier auf die Straße 59 nach Ružomberok. Wieder bis zur Ortschaft Biely Potok und dort den Schildern folgen.
Mit Wohnwagen und Wohnmobil sowie mit dem Bus kommt ihr nicht bis Vlkolínec. Hier heißt es 3 Kilometer voher aussteigen und zu Fuß weiter. Jedoch könnt ihr in Biely Potok beim Motel Vlcí euer Gefährt stehen lassen und kostenlos parken.
Achtung, fahrt ihr mit dem Auto die letzten Kilometer so achtet bitte auf Fußgänger und Radfahrer. Die Straße ist eng und unübersichtlich.
Noch ein Hinweis. Fotos machen erlaubt aber denkt an die Privatsphäre der in Vlkolínec lebenden Menschen. Also, seid höflich und zurückhaltend.
Text: Günther Strauß
Von mir besucht am 19.07.2008