Das sogenannte Social-Web ist eine tolle Erfindung, so bringt es die Menschen zusammen, schafft es das sie sich austauschen, aktiv werden, kommunizieren. Und ganz nebenbei schafft es das Social Web auch noch die Taschen einiger weniger mit richtig viel Asche zu füllen. Gemeint sind hierbei die Betreiber, Inhaber solcher Web 2.0 Portale, Online-Communities und sozialer Netzwerke.

Seit Ende der 90er bin ich aktiv im Web unterwegs und seit aufkommen der sogenannten Sozialen Medien bin ich mit dabei. Beruflich wie privat bin ich in endlos vielen dieser Portale gemeldet und Teils sogar recht aktiv. Da gibt es die Social-Bookmarkdienste, Bewertungsplattformen oder diese Portale in denen man einfach nur Mitglied ist, sein gesamtes Privatleben ausbreitet und hauptsächlich damit beschäftigt ist sich die Zeit totzuschlagen. Die Portale in denen man sein Lieblingsrestaurant bewertet, seine Lieblingsmusik, seine schönsten Fotos, seine Reisen, seine Hotels. Neuerdings bewertet man sogar seine Arbeitgeber und seine Lehrer. Sozial nennt sich das was hier unter dem längst veralteten Begriff Web 2.0 fällt. Das soziale Internet, interaktiver Gedankenaustausch, kommunizierte Langeweile. Schon eine geraume Zeit droht mich das Social Web zu erdrücken, Mails, Nachrichten, News meiner Bekannten, Freunde und sogar derer die ich nicht kenne landen in meinen Postkasten. Newsletter der Portale oder ihrer Partner und Werbekunden werden wöchentlich, ja sogar täglich versendet.

Inzwischen verbrauche ich an jedem Tag den ich meinen Rechner hoch fahre schon an die 1-1,5 Stunden nur um Mails zu beantworten, auszusortieren und mich am sozialen Netzwerk zu beteiligen. Dieser hat Geburtstag, dieser hat etwas bewertet, dieser lädt dich auf eine Party ein, jener will dich als seinen Freund (Freund?) und der Nächste schreibt dir, dass ihn seine Arbeit gerade tierisch nervt. Es findet in meinen Augen eine Reizüberflutung statt mit zum Großteil unwichtigem Geplapper, Neuigkeiten die nur entstanden sind durch das soziale Gefüge der Portale. Es wird gezwitschert, es wird diskutiert, es wird kontaktet und es wird sich im Short-Message-Stil unterhalten. Zwischen all dem unwichten Gezwitscher und Gegaggere finden sich auch noch die Portalbetreiber ein, die nun versuchen auf verschiedenste Weise ihr in sie investiertes Venture-Kapital von den Usern ihrer Plattform wieder zu holen.

Ist es denn nicht schon genug, dass zehntausende oder sogar hunderttausende ehrenamtliche Mitarbeiter diese Portale umsonst am Laufen halten? Nein, es reicht nicht – bei weitem nicht. Ein Portal, eine Community muss gepflegt und ausgebaut werden. Serverkosten, Büromieten, Mitarbeiter, Werbeaktionen kosten Geld selbst wenn es sich um ein soziales Web handelt. Den Mitgliedern wird dieses meist ohne Kosten zur Verfügung gestellt, sie sind einfach nur Mitglieder. Die Tools bekommen User umsonst. Wären z.B. für eine Fotogalerie oder ein hochgeladenes Foto Gebühren fällig, wäre die Community in Kürze ausgestorben und nur ein weiteres gescheitertes Projekt. Aber Internetnutzer wollen alles Umsonst – diese Monster!

Wer kommt schon auf den Gedanken, es könne ein sozialer Dienst etwas kosten? Naja, vielleicht kostet es ja wirklich kein Geld, vielleicht kostet es nur das Privatleben, vielleicht kostet es seine Annonymität aber mit hundertprozentiger Sicherheit kostet es viel, ja sogar enorm viel an Zeit. Ich persönlich betrachte dies als verschobene Prioritäten. Anstatt seine wertvolle Lebenszeit mit wirklichen Freunden zu verbringen, anstatt hinaus in die Welt zu gehen und etwas zu erleben, Spaß zu haben, Zeit mit seiner Familie zu verbringen kümmern wir uns lieber darum anderen bei der Eroberung der virtuellen Welt zu helfen. Wir schaffen Content, wir füllen die Portale mit Leben, wir produzieren unendlich viele dieser wichtigen Seiten für die Suchmaschinen. Nicht wichtig für uns, sondern für die Communities, die sozialen Netzerke. Wer hat mehr Mitglieder, wer hat am meisten Unique-User im Monat und wer hat die meisten Seiten im Index der Suchmaschinen?

Betreiber sozialer Dienste sind bestrebt vorne mit dabei zu sein. Die Zahlen müssen stimmen, denn die Zahlen entscheiden jeden Monat über die wichtigsten Werbekunden und das Werbeetat großer Unternehmen. Wer wichtig ist bekommt wichtige Verbündete. Wer wichtig ist, ist im Gespräch und findet somit noch mehr Interessenten seiner sozialen Dienste. Für jeden gibt es „sein“ soziales Netzwerk, speziell auf ihn angepasst, speziell für ihn in einer langen Start-up-Phase designt. Wir Mitglieder sind dabei in den seltensten Fällen wirklich sozial eingestellt, vielmehr lassen wir uns anstecken von dem Hype der anscheinend heilen sozialen Welt. Brot und Spiele für die Massen, damit sie nicht merken wie ihnen im Hintergrund das Wasser abgegraben wird. Ein Kasperletheater zum Vergnügen vertreib unserer Langeweile, während die Macher Backstage uns beobachten und auswerten, im schlimmsten Fall sogar verkaufen. Wichtig sind nicht wir als Menschen – wichtig sind unsere Daten!

Ja, ich fühle mich beobachtet und verfolgt! Ich fühle mich oft sogar gedrängt und genötigt dabei zu sein, denn bin ich nicht dabei bin ich out. Bin ich nicht dabei kann ich nicht mitreden. Der Druck derer, die verblendet durch die virtuellen Welten taumeln ist enorm groß. „Wie, du bist noch kein Mitglied? Ich schicke dir sofort eine Einladung!“ Nein! Ich will keine Einladungen mehr, ich will nicht mehr meine Zeit vertrödeln mit diesem Schwachsinn. Meine Freunde (die Richtigen aus dem 1. Leben), jene die mich oft besser kennen als ich mich selbst gibt es, ich weiß wo sie wohnen, ich kenne ihre Gesichter. Alte Bekannte, alte Freunde die mir eines Tages die Blume ins Grab werfen und hoffentlich eine Träne verdrücken wenn es zu Ende geht. Diese, die nicht nur meinen Avatar als Lebenszeichen von mir in ihrer Kontaktliste vorfinden. Ich meine diese Lebewesen aus meinem sozialen Umfeld – der realen Welt.

Diese Kontakte wollen nicht nur meine Daten um sie dann gewinnbringend weiter verkaufen zu können, von ihnen erhalte ich keine Werbebriefe, sie werten mein tägliches Verhalten nicht aus um dann im nächsten Moment mit dem passenden Produktangebot vor meiner Haustür zu stehen. Diese Menschlein, deren Gesichtsausdruck ich sehen möchte wenn ich ihnen Bilder zeige, wo ich sehe ob ein Witz auch wirklich verstanden wurde, die Leute von denen ich mich mit einer Umarmung verabschiede und nicht nur mit einem Smiley. Ich will nicht mehr Stunden und Tage damit verbringen Content für irgendwelchen Unternehmen zu erzeugen, der mir nichts aber auch gar nichts bringen wird außer noch mehr Zeitverlust. Ich will meine Zeit zurück, ich will mein Leben zurück. Ich bin nicht der Sklave, der sich ohne Rechte ausbeuten lassen muss. Community (Gemeinschaft) bedeutet nicht, dass viele arbeiten und einige wenige genießen. Diese Epoche sollte schon lange hinter uns liegen.

Öfters mal den Computer ausschalten. Wieder mehr Bewegung an der frischen Luft. Wenn schon sozial, dann helfe ich lieber im wahren Leben (auch ohne Bezahlung) anstatt mich in die lange Reihe der Arbeitstiere einzureihen und mit zubauen an den neuen Pyramiden der virtuellen Pharaonen. Noch kann ich selbst entscheiden wo ich meine Energie vergeude. Der Weg zurück zu mir ist gestartet, weniger statt mehr! Ich steige aus, schaffe den Absprung und fühle mich gut dabei – endlich wieder frei!

Anhang:
Dieses Thema beschäftigt nicht nur mich, im Netzt tauchen in letzter Zeit vermehrt Artikel zu Themen wie Socail Web,
Web-Communities, Web 2.0 auf. Häufig wird Kritik geübt, Menschen fühlen sich überfordert mit der „Neuen Welt“ oder stellen sich so wie ich die Frage „Was soll das?“

Hierzu kann ich ein paar sehr schöne Artikel empfehlen wie etwa diesen „Warum die Leute nichts für Qype und andere Portale schreiben“ oder diesen hier von Sandy Janus Social Web als neues Recruiting-Tool?. Weiter empfehle ich diesen Artikel von meinem Qyper-Kollegen vilmoskörte Sendepause bei Qype.

Was ist am Social Web sozial?
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2 thoughts on “Was ist am Social Web sozial?

  • 10. Dezember 2016 bei 7:33
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    Ja, so isses. Außer meinem wenig aktiven Blog auf WordPress und ein wenig passivem Mitlesen auf Twitter mache ich da auch nix mehr und habe wenig Stress.

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    • 10. Dezember 2016 bei 17:55
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      Hallo Vilmos! Ich freu mich so von dir zu hören, wirklich! Wir haben uns komplett aus den Augen verloren, und dann bei diesem Artikel – wo wir uns doch genau im Social Web kennen gelernt haben! Danke für deinen Besuch hier. Der Blog ist unter dieser URL erst seit 3 Wochen aktiv und ich poste gerade alte Artikel aus meinen inzwischen abegeschalteten anderen Blogs. Gruß nach B

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